Das erste mal in der Oper
Gestern war ich in La Bohème in der
Hamburger Staatsoper. Und viel mehr als meine Sicht hat mich die einer jungen
Frau interessiert, die mit 26 das erste Mal in der Oper war. Eher durch Zufall
als geplant, kam sie mit. In der Pause fragte ich dann: Und wie gefällt‘s dir?
„Skurril“… es sitzen lauter alte Leute in Anzügen im Publikum und gucken sich
eine junge Frau an, die tanzt, sich räkelt und ihre M****i zeigt. Sie könne
sich gut mit denen auf der Bühne identifizieren, aber das kommt ihr merkwürdig
vor, das können die doch einfach im Fernsehn gucken statt 87 Euro (so viel
hätte der Platz gekostet) zu bezahlen. Außerdem sei es komisch, so eine alte
Geschichte so modern zu machen, also warum trägt der Cappy und so? Das wirke
aufgesetzt. Die Musik und die Sänger_innen sind aber super, die gefallen ihr.
Spannend. Kostümtheater für
Opernneulinge? Mit dem Wort modern wird Oper nicht assoziiert. Sind wir
Operngänger-/Theatergänger_innen also die, für welche die Inszenierungen
gemacht werden? „Das kann man meinetwegen in modernem Theater machen aber in
der Oper?“, sagte sie heute noch. Theater ist also wie zu Brechts Zeiten immer
noch einen Schritt weiter als die Oper. Zumindest in den Köpfen der
Gesellschaft, meiner Meinung nach allerdings auch wirklich. Zumindest in
Hamburg. Wenig Selbstreflexion, wenig Spiel mit dem Spiel, viel vierte Wand,
wenn nicht sogar ständig mit vierter Wand.
Allerdings ist die Inszenierung für mich
eine recht gute Antwort auf die Frage, warum wir das eigentlich noch machen.
Warum, außer der schönen Musik wegen, inszenieren so viele Häuser dieses Stück
mit so viel Aufwand (ich habe noch nie so viele Leute auf der Opernbühne
gesehen)? Musik und insbesondere Oper erzählt Geschichten. Menschliche
Geschichten, hinterfragt Verhalten (das geht im Theater oft noch einfacher,
weil selbst bei genutzten Dramen Text und Musik viel flexibler genutzt werden),
drückt Gefühle aus, verstärkt sie auch.
Liebe, Eifersucht, Tragik, Vertrauen,
Hingabe, Tod. So aktuell wie zu Zeiten Puccinis. Das Libretto passt sehr gut,
um das Stück u.a. in einen Club zu legen und besonders der Platz vor dem Club erinnert
sehr an Hollywoodfilme der 90er/2000er.
Interessant
ist, dass schon das Abendblatt zur Premiere von 2006 schrieb: „Dazu zog eine
Feuerwehrkapelle durchs Parkett, bei der vom Tambourmajor bis zu den Uniformen
alles stimmte - nur der Rhythmus nicht. Nobody is perfect.“ Genau dies war der
Fall 10 Jahre später J Einige Dinge verändern sich in einer
Inszenierung einfach nicht.
Gesanglich
war die Vorstellung fantastisch! Rodolfo (Jean François Borras) und Mimi (IuliaMaria Dan) sind sehr passend besetzt. Beide beherrschen die Kunst über das
Orchester singen zu können auch in den kleinen Zimmern, die je anders
ausgestattet sind, als auch wunderschön leise Klänge (auch in der Höhe) von
sich zu geben. Selbst die Nebenrollen fallen unglaublich positiv auf. An erster
Stelle möchte ich Alin Anca erwähnen, der einen hervorragenden Colline gab.
Achtung,
Schmerzliches: Zak Kariithi, der wunderbar zart und schauspielernd sang und auch
tanze :D, wird von einigen am Anfang als geblackfaced wahrgenommen, Schockmoment
für einige Zuschauer (ich sprach mit verschiedenen in der Pause) und was für
eine Ohrfeige für die Oper als Raum, der sonst so multikulturell ist und sein
will. Es ist für einige immer noch eine Überraschung, dass das Ensemble nicht
nur weiß ist, weil viele Bühnen immer noch kaukasisch-asiatisch geprägt sind. Das
gleiche Phänomen wurde im Thalia Theater auf er Bühne reflektiert in „DieSchutzbefohlenen“.
Die
letzte Szene mit der Rauferei zwischen den jungen Männern ist sehr gelungen und
allgemein merkt man den Sänger_innen Spaß beim Spielen an. Die Solostreicher
klingen unglaublich emotional und es ist für mich sehr überraschend gewesen,
dass mir trotz des zu erwartenden Kitsches, zweimal Tränen in den Augen
standen. Berührend bis heute!
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