Donnerstag, 8. Dezember 2016

Außensicht - La Bohème

Das erste mal in der Oper

Gestern war ich in La Bohème in der Hamburger Staatsoper. Und viel mehr als meine Sicht hat mich die einer jungen Frau interessiert, die mit 26 das erste Mal in der Oper war. Eher durch Zufall als geplant, kam sie mit. In der Pause fragte ich dann: Und wie gefällt‘s dir? „Skurril“… es sitzen lauter alte Leute in Anzügen im Publikum und gucken sich eine junge Frau an, die tanzt, sich räkelt und ihre M****i zeigt. Sie könne sich gut mit denen auf der Bühne identifizieren, aber das kommt ihr merkwürdig vor, das können die doch einfach im Fernsehn gucken statt 87 Euro (so viel hätte der Platz gekostet) zu bezahlen. Außerdem sei es komisch, so eine alte Geschichte so modern zu machen, also warum trägt der Cappy und so? Das wirke aufgesetzt. Die Musik und die Sänger_innen sind aber super, die gefallen ihr.
Spannend. Kostümtheater für Opernneulinge? Mit dem Wort modern wird Oper nicht assoziiert. Sind wir Operngänger-/Theatergänger_innen also die, für welche die Inszenierungen gemacht werden? „Das kann man meinetwegen in modernem Theater machen aber in der Oper?“, sagte sie heute noch. Theater ist also wie zu Brechts Zeiten immer noch einen Schritt weiter als die Oper. Zumindest in den Köpfen der Gesellschaft, meiner Meinung nach allerdings auch wirklich. Zumindest in Hamburg. Wenig Selbstreflexion, wenig Spiel mit dem Spiel, viel vierte Wand, wenn nicht sogar ständig mit vierter Wand.
Allerdings ist die Inszenierung für mich eine recht gute Antwort auf die Frage, warum wir das eigentlich noch machen. Warum, außer der schönen Musik wegen, inszenieren so viele Häuser dieses Stück mit so viel Aufwand (ich habe noch nie so viele Leute auf der Opernbühne gesehen)? Musik und insbesondere Oper erzählt Geschichten. Menschliche Geschichten, hinterfragt Verhalten (das geht im Theater oft noch einfacher, weil selbst bei genutzten Dramen Text und Musik viel flexibler genutzt werden), drückt Gefühle aus, verstärkt sie auch.
Liebe, Eifersucht, Tragik, Vertrauen, Hingabe, Tod. So aktuell wie zu Zeiten Puccinis. Das Libretto passt sehr gut, um das Stück u.a. in einen Club zu legen und besonders der Platz vor dem Club erinnert sehr an Hollywoodfilme der 90er/2000er.
Interessant ist, dass schon das Abendblatt zur Premiere von 2006 schrieb: „Dazu zog eine Feuerwehrkapelle durchs Parkett, bei der vom Tambourmajor bis zu den Uniformen alles stimmte - nur der Rhythmus nicht. Nobody is perfect.“ Genau dies war der Fall 10 Jahre später J Einige Dinge verändern sich in einer Inszenierung einfach nicht.
Gesanglich war die Vorstellung fantastisch! Rodolfo (Jean François Borras) und Mimi (IuliaMaria Dan) sind sehr passend besetzt. Beide beherrschen die Kunst über das Orchester singen zu können auch in den kleinen Zimmern, die je anders ausgestattet sind, als auch wunderschön leise Klänge (auch in der Höhe) von sich zu geben. Selbst die Nebenrollen fallen unglaublich positiv auf. An erster Stelle möchte ich Alin Anca erwähnen, der einen hervorragenden Colline gab.
Achtung, Schmerzliches: Zak Kariithi, der wunderbar zart und schauspielernd sang und auch tanze :D, wird von einigen am Anfang als geblackfaced wahrgenommen, Schockmoment für einige Zuschauer (ich sprach mit verschiedenen in der Pause) und was für eine Ohrfeige für die Oper als Raum, der sonst so multikulturell ist und sein will. Es ist für einige immer noch eine Überraschung, dass das Ensemble nicht nur weiß ist, weil viele Bühnen immer noch kaukasisch-asiatisch geprägt sind. Das gleiche Phänomen wurde im Thalia Theater auf er Bühne reflektiert in „DieSchutzbefohlenen“.
Die letzte Szene mit der Rauferei zwischen den jungen Männern ist sehr gelungen und allgemein merkt man den Sänger_innen Spaß beim Spielen an. Die Solostreicher klingen unglaublich emotional und es ist für mich sehr überraschend gewesen, dass mir trotz des zu erwartenden Kitsches, zweimal Tränen in den Augen standen. Berührend bis heute!

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