Montag, 6. März 2017

Pintschers Universum – Mehr als ein Konzert

Ein ungewöhnlicher Abend für alle Sinne scheint es werden zu sollen. Matthias Pintscher, der Residenzkünstler der Elbphilharmonie, gestaltet die fünf Stunden mit Musik, Bildender Kunst, Weinverkostung und Gesprächen. Der Abend beginnt mit Auszügen aus Schumanns Waldszenen op. 82. Die Pianistin Anna D'errico, wie alle Musiker_innen des Abends Alumni des Lucerne Festivals, spielte hervorragend. Ihr Anschlag glich einem dahinplätschernden Bach. Wie gleichmäßige, runde und friedliche Tropfen klangen die Töne von Schumanns Waldillustrationen. Darin eingewoben waren Stücke Pintschers. Später im Interview sagte er zur Auswahl, dass er genau wie Schumann Bilder im Kopf der Zuhörer entstehen lassen wolle, wie Debussy Farben schichten, auch wenn man am Ende nicht mehr alle hören, aber erahnen könne.
Nach einer kurzen Pause geht es weiter mit gemischten Stilen. Besonders hervorzuheben ist die für Debussys Zeit sehr moderne Sonate für Flöte, Viola und Harfe (1915). Die drei jungen Musiker spielen fabelhaft zusammen und verjüngen das Stück mit ihrer Spielart noch einmal. Auch sehr interessant ist das sehr selten gespielte Stück von Schumann - Andante und Variation für 2 Klaviere, 2 Celli und Hor. Leider intonierte das erste Cello häufiger falsch, dabei spielte er ansonsten sehr gut. Eventuell lag es an seiner Position direkt vor dem offenen Flügel, sodass er sich an einigen Stellen nicht hörte. Außerdem schlief jemand im Publikum ein und schnarchte. Schlimmer jedoch war, dass ihn niemand sofort weckte.
Die Idee Pintschers war, den Vorhang zu lüften. „Was tun wir hier eigentlich? Alle Künstler haben doch ähnliche Probleme, das >Overcoming<“. Auch deshalb liebe er den Dialog mit anderen Kunstformen. Dies zu zeigen und die Zuschauer_innen ein wenig hereinzulassen, ist an dem Abend sehr gelungen. Pintschers Musik hingegen, war weniger befriedigend. Das Stück „Whirling Tissue of Light” für Klavier solo war in Ordnung. Ein recht schönes Stück war dann doch dabei: Uriel für Violoncello und Klavier – durchaus melodiös, an Stellen warm und intensiv, aber auch dies war nicht wirklich faszinierend im Gegensatz zum Stück für Horn solo (2010) komponiert von Miroslav Srnka, grandios gespielt von Saar Berger. Der hinter ihm stehende Flügel diente häufiger als Verstärker einzelner Töne und Akkorde. Ein Spiel mit den Möglichkeiten des Horns und Resonanzen im Flügel, ohne in reine Spielerei auszuarten.
Pintschers Wunsch mit seinen Werken die Zuhörer_innen zum Bilderkreieren anzuregen, wird bei allen, mit denen ich sprach, nicht erfüllt. Im letzten Stück will er, laut Aussagen im Interview, zwei Instrumente zu einem verschmelzen lassen (Occultation – für Ensemble), was m.E. überhaupt nicht hörbar war. Trompete und Horn blieben in ihrem eigenen Klangspektrum, wurden dafür immer lauter. Was Pintscher jedoch gelang, war die Kunst wirklich nah zu bringen. Sowohl die Gespräche, als auch der Umzug ins Foyer zur Weinverkostung mit Musik bewirkte dies - nahe Kunst und nahbare Künstler. Zum Wein gab es u.a. Pintscher – Beyond (Flöte solo) mit wahnsinniger Künstlerleistung (Ander Erburu), aber das Stück war wie der für mich beste Spruch des Abends einer Zuschauerin beim Vorbeigehen aussagt: „Das sind ja alles nur Töne“. Irgendwie fasst dies Pintschers Musik zusammen, die unfassbar genau aufgeschrieben ist. Interessant sind seine Partituren auf jeden Fall! Allerdings empfinde ich die Musik nur als Spielereien mit Klangmöglichkeiten von Instrumenten, kaum oder keine Linie, keine Flächen. Selbst mit vorheriger Erklärung im Künstlerinterview wird das jeweilige Stück nicht wirklich besser. Ein paar Ideen sind interessant, aber das reicht mir nicht.
Nach dem zweiten Teil im Foyer kommen alle leicht alkoholisiert zurück in den Saal und lassen sich von einem Stück für Schlagzeug solo (Iannis Xenakis) berauschen. Die elitäre Version der Kiffermusik, war mein erster Gedanke. Tolles Stück, gute Musiker, was für eine Atmosphäre, auch die Beleuchtung ist herrlich! Leider bleibt es nicht dabei. Am Ende dirigiert Pintscher sein eigenes Stück und fährt sich sehr eitel mehrfach durch die Haare währenddessen. Das ist so peinlich, dass es schon wieder lustig ist. Passend zum Spektakel. Traurig ist allerdings, dass mehr als die Hälfte nach dem zweiten Teil gegangen war. Am Ende saßen wir in einem viel zu leeren Saal. Ob das mit Pintschers Musik oder der Länge zu tun hatte kann ich nicht sagen - wahrscheinlich mit beidem.
Die Akustik des kleinen Saals gefällt mir uneingeschränkt gut bei jeder gehörten Besetzung! Klavier solo bis Ensemble. Leider war die Lüftung (oder war es der Beamer - als er aus war in zweiter Hälfte, war das Geräusch allerdings immer noch da) viel zu laut, was jede Pause in der Musik zu keiner wirklichen machte. Der Saal und die Räumlichkeiten draußen eigenen sich ansonsten sehr für ein solches Konzept. Und dieses Konzept ist herrlich, wirklich das für Kulturliebhaber. Endlich mal was für Menschen, die mehr wollen, als nur das Konsumieren von zwei Stunden klassischer Musik. Der Versuch eines ganzheitlichen Erlebnisses ist, trotz oder vielleicht auch wegen der nicht immer wunderschönen Musik, sehr gelungen. Erleben, aushalten, erfahren, schmecken. Wunderbar!
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Robert Schumann (1810 –1856) - Waldszenen op. 82 (1848/49) Auszüge (im Wechsel vorgetragen)
Matthias Pintscher (*1971) - Study III for Treatise on the Veil / für Violine solo (2007)
Matthias Pintscher - Whirling Tissue of Light / für Klavier solo (2013)
Matthias Pintscher - Study IV for Treatise on the Veil / für Streichquartett (2009) 
Matthias Pintscher - Uriel / für Violoncello und Klavier (2011/12)
Claude Debussy (1862 –1918) - Sonate für Flöte, Viola und Harfe (1915)
Robert Schumann - Andante und Variationen B-Dur WoO 10 für zwei Klaviere, zwei Violoncelli und Horn (1843) 
Bernd Alois Zimmermann (1918 –1970) - Sonate für Violoncello solo (1960)Matthias Pintscher - Beyond (a System for Passing) / für Flöte solo (2013) 
Iannis Xenakis (1922–2001) - Rebonds für Schlagwerk solo (1987 –1989)
Miroslav Srnka (*1975) - Coronae / für Horn solo (2010)
John Cage (1912–1992) - Seven Haiku / für Klavier solo (1951/52)
Franz Schubert (1797–1828) - Klaviertrio-Satz Es-Dur D 897 »Notturno« (1827/28)
 
Matthias Pintscher - Svelto / für Violine, Violoncello und Klavier (2006)
Matthias Pintscher - Occultation / für Ensemble (2010) 

MATTHIAS PINTSCHER - LEITUNG, LESUNG, WEINVERKOSTUNG, KUNSTVORSTELLUNG

ANDER ERBURU - FLÖTE
SYLVAIN DEVAUX - OBOE
JONATHAN HADAS - KLARINETTE
HUGO QUEIRÓS - BASSKLARINETTE
ALEXANDAR HADJIEV - FAGOTT
SAAR BERGER - HORN
SIMON HÖFELE - TROMPETE
KEVIN AUSTIN - POSAUNE
RACHEL KOBLYAKOV - VIOLINE
AGATA NOWAK - VIOLINE
FRANCESCO TOSCO - VIOLA

ERIK ÁSGEIRSSON - VIOLONCELLO
RAPHAËL GINZBURG - VIOLONCELLO
LENARD LIEBERT - KONTRABASS
ANNA D’ERRICO - KLAVIER
EMIL HOLMSTRÖM - KLAVIER
ZACHARY HATCHER - HARFE
MANUEL ALCARAZ CLEMENTE - SCHLAGWERK
JEAN-BAPTISTE BONNARD - SCHLAGWERK
DOROTHEE M. KALBHENN KONZEPT & MODERATION