Wer die Geschichte Lots im Alten Testament
kennt, hat eine Vorahnung was da auf der Bühne passieren wird. Sodom, Engel,
Eskalation, Vernichtung und Inzest. Und das alles auf der Opernbühne mit einem
Premierenpublikum in feinster Kleidung und maximal toupierten Haaren.
Beginnen tut das Ganze mit einer Szene, in
der Abraham und Sara erfahren, dass sie über 90-jährig noch ein Kind bekommen
sollen. Dafür spricht Gott persönlich mit ihnen. Dieser wird von einem kleinen
Schwarzen, der einen Bastrock trägt, gespielt. Wieso wurde sich dafür
entschieden? Bereits ein Gesuch der Oper macht hier einiges
falsch: „Gesucht werden mehrere Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren sowie ein
Junge, ebenfalls im Alter von 7 bis 12 Jahren und idealerweise mit schwarzer
Hautfarbe“. Es gibt keine schwarze Hautfarbe. Selbst Wikipedia weiß dies*! Soll
Gott also kindlich dargestellt werden, als Spielender auf der Erde? Dazu passt
die Thematik um die Homosexualität, Sünde und das Vernichten Sodoms nicht
wirklich gut. Dass Gott, wenn er als Mensch dargestellt wird, eher nicht hellhäutig
ist, da diese Formen der Pigmentierung erst später entstanden sind, ist noch recht
nachvollziehbar, aber grad in dem Zusammenhang der unfassbar verstörenden Geschichte
und des immer noch herrschenden Rassismus, halte ich das auf den ersten Blick
für keine gute Entscheidung.
Gott
beginnt neben dem Gespräch, Zeichnungen von Menschen in den Müll zu werfen und
aus Papier geformte Menschen auch, nachdem er ihnen sogar die Köpfe abriss.
Mit dem vollen Mülleimer (dieser wird in größerer Form nach der Zerstörung
Sodoms von der Bühnendecke hängend ausgeleert) geht er von der Bühne und auch
Abraham und Sara überlassen das Spielfeld Lot, seiner Familie und den
Einwohner_innen Sodoms. Bald darauf eskaliert es schon. Nachdem die Engel (getarnt als
Menschen) in Lots Haus geholt werden, damit die Sodomiten sie nicht
verscheuchen, ermorden und/oder vergewaltigen, bedrängen die Einwohner_innen
Lot und sein Haus. Sie fordern die Fremden und Lot bietet, da Gäste heilig
sind, sogar seine Tochter und danach sich selbst im Tausch für die Gäste an. Das Vokabular des Librettos ist unglaublich
krass in den Chorszenen. Zunächst schockiert dies ein wenig, aber es erscheint
sinnvoll, da die ganze Geschichte bereits zu damaligen Zeiten sehr
außergewöhnlich und voll mit Unmoralischem, Unnormalem war. Damit meine ich nicht
die Homosexualität, sondern vor allem das menschenverachtenden Benehmen der
Einwohner Sodoms. Ein Wort wie Arschf****r ist allerdings herrlich zur
Realisierung, dass man sich in einem Raum mit lauter nach außen hin feinen
Menschen befindet, man nimmt an diesen Stellen das Publikum um sich herum sehr genau war.
Die
Musik war sehr gemischt. Giorgio Battistelli weiß mit Gesamtklängen, Geräuschkulissen und Orchestersoli sehr gut umzugehen.
Der Chor wurde erschreckend gut eingesetzt, sowohl szenisch, als auch
musikalisch. Sie traten alle in goldener Kleidung vor gold-schimmernden
Vorhängen in einer eindringlichen Heftigkeit auf. Die Rufe, welche sich auch
durch das Stück hindurchzogen, blieben lange im Ohr. Leider liefert die
Geschichte so viele Höhepunkte des Grauens, dass Battistelli sich kaum steigern
konnte. Eine Horrorfilmakkordfolge nach der nächsten. Besonders schön dafür,
war der Abschied der Frau Lots vom Leben. Anders als in der Bibel geht sie
freiwillig in den Tod, da sie keinen Neuanfang verkraftet. Khatuna Mikaberidze
ist so unglaublich gut, dass sie als Mutter sängerisch sowohl ihre Töchter, die
Engel und sogar ihren Mann Lot (Brian Davis),
der eine sehr angenehme Stimme hat, übertrifft. Nach den viel zu langen
Dialogen, die schwer zu singen sind und auch ähnlich schwer anzuhören, schafft
Mikaberidze es, alle Lieblichkeit und Wärme dieser Mutterfigur in die auch hier
recht großen Intervallsprünge zu legen. Ansonsten ist der Gesang eher
anstrengend in die ganze Musik eingebunden. Oft ähnelt es einer Art
Zwölftongesang und leider wird viel Text gesungen, der eigentlich keine emotionale Verstärkung durch Musik bräuchte. Hier passt das Libretto nicht gut zu einer Oper. Mit den langen Unterhaltungen wirkt
es sehr wie ein Theaterstück. Sehr interessant sind
hingegen die Stellen der Verkündigung der Engel komponiert. Versetzt einsetzend
singen sie den selben Text und sind das Echo der Worte Gottes, schließlich sind
auch sie nur Gesandte.
Auch wenn nicht besonders gut geschauspielert wird, das
Libretto seine Schwächen hat, ist die Musik Battistellis und das Gesamterlebnis den Besuch Wert. Die ganze Geschichte, auch die spätere Verführung Lots durch die
Töchter bzw. dann Vergewaltigung derer durch Lot, ist sehr intensiv. Vieles
lässt sich auf der Welt, wenn auch teils in anderer Art, immer noch bzw. immer
wieder finden. Geschichten aus der Bibel (besonders dem Alten Testament), sind
auch deshalb eine gute Stoffgrundlage, da sich für das zwischenmenschliche Verhalten
oft Pendants in der Gegenwart finden lassen. Lots Tochters Moral von der
Geschichte ist: In bösen Zeiten können auch gerechte Menschen böse Menschen werden.
Zwar ist dies plakativ, aber dennoch gut. Lot bleibt nicht der Gerechte, der
vor der Zerstörung Sodoms gerettet wurde, sondern verkommt moralisch.
Neben der erwähnten guten Besetzung mit Davis und Mikaberidze, treten zwei Wagnerlegenden als
Abraham und Sara auf (Franz Mazura und Renate Behle). Sie klingen genauso alt,
wie die beiden in der Geschichte sind, agieren aber erstaunlich gut und sind
dadurch sehr authentisch! Ein Lob auch an das Staatsorchester Hannover! Das Stück
ist äußerst komplex, vielfarbig und herausfordernd und wurde von dem groß
besetzten Orchester souverän gespielt.
*“Die
Bezeichnung Schwarze deutet auf eine sehr dunkle Hautfarbe
der so bezeichneten Menschen hin. Vielfach werden jedoch Menschen mit allen
möglichen Varianten der Hautpigmentierung von dunkelsten bis zu sehr hellen
Hautfarben einbezogen, einschließlich Albinos.
Daher ist die Bezeichnung „Schwarze“ kein Indikator der Hautfarbe, sondern der
rassentheoretischen oder ethnischen Einteilung.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze)
Musikalische Leitung: Mark Rohde
Inszenierung: Frank Hilbrich
Dramaturgie: Klaus Angermann
Inszenierung: Frank Hilbrich
Dramaturgie: Klaus Angermann