Sonntag, 2. April 2017

Zahlt mit euren Ärschen – Die Geschichte um Lot als Oper

Wer die Geschichte Lots im Alten Testament kennt, hat eine Vorahnung was da auf der Bühne passieren wird. Sodom, Engel, Eskalation, Vernichtung und Inzest. Und das alles auf der Opernbühne mit einem Premierenpublikum in feinster Kleidung und maximal toupierten Haaren.
Beginnen tut das Ganze mit einer Szene, in der Abraham und Sara erfahren, dass sie über 90-jährig noch ein Kind bekommen sollen. Dafür spricht Gott persönlich mit ihnen. Dieser wird von einem kleinen Schwarzen, der einen Bastrock trägt, gespielt. Wieso wurde sich dafür entschieden?  Bereits ein Gesuch der Oper macht hier einiges falsch: „Gesucht werden mehrere Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren sowie ein Junge, ebenfalls im Alter von 7 bis 12 Jahren und idealerweise mit schwarzer Hautfarbe“. Es gibt keine schwarze Hautfarbe. Selbst Wikipedia weiß dies*! Soll Gott also kindlich dargestellt werden, als Spielender auf der Erde? Dazu passt die Thematik um die Homosexualität, Sünde und das Vernichten Sodoms nicht wirklich gut. Dass Gott, wenn er als Mensch dargestellt wird, eher nicht hellhäutig ist, da diese Formen der Pigmentierung erst später entstanden sind, ist noch recht nachvollziehbar, aber grad in dem Zusammenhang der unfassbar verstörenden Geschichte und des immer noch herrschenden Rassismus, halte ich das auf den ersten Blick für keine gute Entscheidung.
Gott beginnt neben dem Gespräch, Zeichnungen von Menschen in den Müll zu werfen und aus Papier geformte Menschen auch, nachdem er ihnen sogar die Köpfe abriss. Mit dem vollen Mülleimer (dieser wird in größerer Form nach der Zerstörung Sodoms von der Bühnendecke hängend ausgeleert) geht er von der Bühne und auch Abraham und Sara überlassen das Spielfeld Lot, seiner Familie und den Einwohner_innen Sodoms. Bald darauf eskaliert es schon. Nachdem die Engel (getarnt als Menschen) in Lots Haus geholt werden, damit die Sodomiten sie nicht verscheuchen, ermorden und/oder vergewaltigen, bedrängen die Einwohner_innen Lot und sein Haus. Sie fordern die Fremden und Lot bietet, da Gäste heilig sind, sogar seine Tochter und danach sich selbst im Tausch für die Gäste an. Das Vokabular des Librettos ist unglaublich krass in den Chorszenen. Zunächst schockiert dies ein wenig, aber es erscheint sinnvoll, da die ganze Geschichte bereits zu damaligen Zeiten sehr außergewöhnlich und voll mit Unmoralischem, Unnormalem war. Damit meine ich nicht die Homosexualität, sondern vor allem das menschenverachtenden Benehmen der Einwohner Sodoms. Ein Wort wie Arschf****r ist allerdings herrlich zur Realisierung, dass man sich in einem Raum mit lauter nach außen hin feinen Menschen befindet, man nimmt an diesen Stellen das Publikum um sich herum sehr genau war.
Die Musik war sehr gemischt. Giorgio Battistelli weiß mit Gesamtklängen, Geräuschkulissen und Orchestersoli sehr gut umzugehen. Der Chor wurde erschreckend gut eingesetzt, sowohl szenisch, als auch musikalisch. Sie traten alle in goldener Kleidung vor gold-schimmernden Vorhängen in einer eindringlichen Heftigkeit auf. Die Rufe, welche sich auch durch das Stück hindurchzogen, blieben lange im Ohr. Leider liefert die Geschichte so viele Höhepunkte des Grauens, dass Battistelli sich kaum steigern konnte. Eine Horrorfilmakkordfolge nach der nächsten. Besonders schön dafür, war der Abschied der Frau Lots vom Leben. Anders als in der Bibel geht sie freiwillig in den Tod, da sie keinen Neuanfang verkraftet. Khatuna Mikaberidze ist so unglaublich gut, dass sie als Mutter sängerisch sowohl ihre Töchter, die Engel und sogar ihren Mann Lot (Brian Davis), der eine sehr angenehme Stimme hat, übertrifft. Nach den viel zu langen Dialogen, die schwer zu singen sind und auch ähnlich schwer anzuhören, schafft Mikaberidze es, alle Lieblichkeit und Wärme dieser Mutterfigur in die auch hier recht großen Intervallsprünge zu legen. Ansonsten ist der Gesang eher anstrengend in die ganze Musik eingebunden. Oft ähnelt es einer Art Zwölftongesang und leider wird viel Text gesungen, der eigentlich keine emotionale Verstärkung durch Musik bräuchte. Hier passt das Libretto nicht gut zu einer Oper. Mit den langen Unterhaltungen wirkt es sehr wie ein Theaterstück. Sehr interessant sind hingegen die Stellen der Verkündigung der Engel komponiert. Versetzt einsetzend singen sie den selben Text und sind das Echo der Worte Gottes, schließlich sind auch sie nur Gesandte.
Auch wenn nicht besonders gut geschauspielert wird, das Libretto seine Schwächen hat, ist die Musik Battistellis und das Gesamterlebnis den Besuch Wert. Die ganze Geschichte, auch die spätere Verführung Lots durch die Töchter bzw. dann Vergewaltigung derer durch Lot, ist sehr intensiv. Vieles lässt sich auf der Welt, wenn auch teils in anderer Art, immer noch bzw. immer wieder finden. Geschichten aus der Bibel (besonders dem Alten Testament), sind auch deshalb eine gute Stoffgrundlage, da sich für das zwischenmenschliche Verhalten oft Pendants in der Gegenwart finden lassen. Lots Tochters Moral von der Geschichte ist: In bösen Zeiten können auch gerechte Menschen böse Menschen werden. Zwar ist dies plakativ, aber dennoch gut. Lot bleibt nicht der Gerechte, der vor der Zerstörung Sodoms gerettet wurde, sondern verkommt moralisch.
Neben der erwähnten guten Besetzung mit Davis und Mikaberidze, treten zwei Wagnerlegenden als Abraham und Sara auf (Franz Mazura und Renate Behle). Sie klingen genauso alt, wie die beiden in der Geschichte sind, agieren aber erstaunlich gut und sind dadurch sehr authentisch! Ein Lob auch an das Staatsorchester Hannover! Das Stück ist äußerst komplex, vielfarbig und herausfordernd und wurde von dem groß besetzten Orchester souverän gespielt.


*“Die Bezeichnung Schwarze deutet auf eine sehr dunkle Hautfarbe der so bezeichneten Menschen hin. Vielfach werden jedoch Menschen mit allen möglichen Varianten der Hautpigmentierung von dunkelsten bis zu sehr hellen Hautfarben einbezogen, einschließlich Albinos. Daher ist die Bezeichnung „Schwarze“ kein Indikator der Hautfarbe, sondern der rassentheoretischen oder ethnischen Einteilung.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze)

Musikalische Leitung: Mark Rohde
Inszenierung: Frank Hilbrich
Dramaturgie: Klaus Angermann

Lot: Brian Davis
1. Tochter: Dorothea Maria Marx
2. Tochter: Stella Motina
Frau: Khatuna Mikaberidze
1. Engel: Sung-Keun Park
2. Engel: Amar Muchhala
Abraham: Franz Mazura
Sara: Renate Behle
Gott: Lebogang Kempe

Chor der Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover