Montag, 13. Februar 2017

Lulu das Tier oder die Insel der Intellektuellen

Die Sopranistin Barbara Hannigan sagte im Interview, ihre Lulu habe „etwas Tierisches, wie ein kleiner Vogel oder ein wildes Tier. Die Darsteller_innen seinen eine nicht wirklich gute „Varieté-Truppe voller starker Persönlichkeiten“. Das könnte stimmen, aber was das für die Oper bedeuten könnte, bleibt für viele unklar. Eine männermordende übersexualisierte Femme fatale ist sie jedenfalls nicht, stattdessen wird viel Sport getrieben. Barbara Hannigan turnt, singt und tanzt fantastisch, sie ist Akrobatin wie Sängerin in dieser Rolle. Sagt man nicht immer Singen ist Hochleistungssport? Darf man erwähnen, dass sie 1971 geboren ist und wirklich unglaublich fit und jung erscheint? Eine ganz große kleine Frau mit Energie, burschikos, aber trotzdem charmant.

Auch Anne Sofie von Otter zu hören, war ein Traum! Sie hat einen wunderschön warmen, runden Ton, den sie für Bergs Musik auch bricht und anraut. Sie ist m.E. die perfekte Sängerin für diese Art von Berg. Unglaublich klar, sehr nach meinen liebsten Schönbergaufnahmen klingend setzt sie ihre Töne in den Raum - selbstverständlich und kraftvoll schön. Auch der Rest des Ensembles kann sich sehen lassen. Matthias Klink als Alwa singt sicher und leicht und spielt besonders eindrucksvoll in den Sprechszenen, Ivan Ludlow setzt neben seiner Stimme als „der Athlet“ auch seinen muskulösen Körper geschickt ein und turnt gemeinsam mit Hannigan über die Bühne.

Auf dieser ist eine zweite Bühne zu sehen. Wie ein Aufnahmestudio und gleichzeitig eine improvisierte Manege sieht die eigentliche Bühne aus, auf der eine ansehnliche Hinterbühne mit goldenen Käfigstangen und viel zu vielen Bühnenvorhängen steht. Leider geht Marthaler mit diesen Bühnen nicht konsequent um. Die zweite Bühne auf der Bühne wird erst als Ort des Spiels von vier Darstellerinnen (zu dem Stück hinzugefügte Rollen) mit farbigen Kleidern genutzt, dann aber gebrochen, indem auch die schwarz-weiß Sänger darauf performen. Zwei Männer sterben auf der Bühnenbühne, einer nicht. Lulu singt auf der Bühne zu ihrem Gesprächspartner auf der Hinterbühne, so setzt es sich fort. Die Anspielung, was Real und was Spiel sei, wird nicht deutlich. Marthaler mischt zu oft und dadurch gibt es simpel gesagt keinen Unterschied zwischen den Bühnen. Damit wären beide – Realität und Schauspiel – das selbe.

Das Zusammenspiel der Figuren ist besonders. Die Personen agieren nicht miteinander. Der Satz „Du riechst nach Tabak“ wirkt nicht, wenn gar Kuss zustande kam, weil beide an anderen Enden der Bühne stehen. Die Sänger_innen stellen eher abstrakt Emotionen da. Um z.B. den Gymnasiasten loszuwerden verziehen Alwa und der Athlet keine Miene, aber drängen ihn mit statischer Körpergewalt von sich weg. Beide tigern in einer Szene auch unentwegt und unnatürlich schnell und gleichmäßig im Raum herum. Lulu hüpft teils minutenlang auf der Stelle, worauf ihre beiden Freier im dritten Akt sehr unterschiedlich reagieren. Wirklich miteinander agieren tut keiner, viele Einzelpersonen, viel Leere. Niemand sieht Lulu wirklich als Person, Lulu sieht auch niemanden. Das wirkt insgesamt sehr trocken und für viele, die mit der Sprache Marthalers nichts anfangen können eher klamaukig. An ernsteren Stellen wurde doch oft gelacht.

Ein anderer Ansatz der Inszenierung spielt mit den vier Darstellerinnen. Sie werden von einem männlichen Darsteller, welcher der Regisseur bzw. Dompteur zu sein scheint, gewaltvoll in Bewegung gebracht, er führt sie Regie und schmeißt ihnen später blaue Bademäntel hin, womit sie aussehen wie Lulu. Das ist einer von zwei schönen Lichtmomenten der Oper: Lulu könnte jede Frau sein und die Regisseure der Welt haben die Figur von Wedekind/Berg bereits in jede erdenkliche Ecke verbogen. Aber auch mit dieser Anspielung bricht er wieder, schließlich lässt er die Darstellerinnen, noch in Lulu-Kleidern, plötzlich als Erzählerinnen auftreten, die das Geschehen erklären. Auch die Idee, dass Lulu von Männern bzw. vom Regisseur geformt wird, ist nicht stringent durchgezogen, da sie selbst gestisch die Marionettenspielern aller gibt. Sie dreht sich auch an ihrer eigenen Strippe. Aber vielleicht passt gerade dieses nichtpassen zum surrealen der Oper selbst.

ACHTUNG SPOILER zum dritten Akt:

Eine wunderbare Idee hingegen für das Ende ist das Spielen des Violinkonzerts von Alban Bergs, welches er Manon („Dem Andenken eines Engels“), der Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius, die kurz zuvor gestorben war, widmete. Für diese Auftragskomposition unterbrach er immerhin seine Arbeit an der Lulu und vollendete die Oper wegen seiner darauffolgenden tödlichen Erkrankung nicht mehr. Und ist Lulu nicht auch eine Art Engel? Dies fragt sich der Regisseur zumindest. Auch hier spielt Marthaler mit der Choreographie und lässt die Puppen (Darstellerinnen und später Lulu) gegen das Violinkonzert tanzen. Sie stehen bspw. ein paar Minuten mit einem falschen Lächeln auf der Bühne und rühren sich ansonsten trotz des wirklich rührend emotionalen Auftritts der Geigerin nicht. Abgehackt und etwas unnatürlich zappeln die vier (Lulu kommt später dazu) sehr langsam auf der Bühne herum. Das Violinkonzert überschattet alles ein wenig. Man vergisst, dass man in einer Oper ist, man vergisst die wirklich etwas schwere Kost vorher. Das zeigt sich dann beim Applaus auch. Beim ersten Mal noch, bekommt die Violinistin Veronika Eberle, die begleitet von Bendix Dethleffsen auch schon das vorherige Partiell gespielt hatte (Marthaler und Nagato haben sich gegen eine Fassung des dritten Aktes, die nicht von Berg stammt, entschieden), mehr Applaus als Barbara Hannigan. Dies wir natürlich beim zweiten Auftreten richtig gestellt, als man sich an die Oper erinnerte. Auch Marthaler wird vom Publikum mit  Applaus belohnt. Was dabei nicht gehört werden kann, sind die stillen Buhrufe derer, die bereits nach dem ersten und einige dann noch nach dem zweiten Akt den Saal verlassen haben und selbst im begehrten Parkett genügend Platz für Aufrücker machten.

Mir stellt sich die Frage, ob es in einem so großen Haus, zu einer für viele recht schwer anzuhörenden Opern auch noch eine so schwierige Inszenierung geben muss? Wie viele blieben auf der Strecke, trotz und vielleicht auch wegen des verschwurbelten Textes über Oper und Regisseur im Magazin der Staatsoper. Selbst ein erfahrener Opernsänger sagte zu mir in der zweiten Pause: „Ich fürchte er will nichts“ auf meine Frage, zu Marthalers Intention. Was nützt eine  vielleicht sogar recht intelligente Inszenierung also, wenn gerade die, welche keine großen Kenner der Zwölfton- geschweige denn modernerer Musik sind, dadurch noch mehr abgeschreckt sind. Barbara Hannigan meinte im Interview auch, dass sie diese Art von Musik gern verbreiten möchte. Ihre Stimme schafft dies, die Insenierung leider nicht, die ist für Insider. Schwamm drüber jetzt ist Premiere... alle waren zufrieden mit sich und der Aufführung. Die Premierenfeier war munter und man wälzte sich im Bade des Bildungsbürgertums. Musikalisch war diese Aufführung wirklich ein Genuss und allein deshalb empfehlenswert. Wer Alban Berg mag, wird Hannigan unter Kent Nagano mit dem fantastischen Philharmonischen Staatsorchester lieben.

Kurzer Rückblick aufs Wochenende:

Le Nozze di Figaro – Ironie, Witz und tolle Sänger_innen! Ein wirklich runder Abend, auch wenn die Presse sich da nicht ganz einig ist (so ist es ja oft mit der Uneinigkeit vom Publikum und den Rezensenten des Feuilletons). Es ist m.E. sowohl etwas für Menschen, die Kostümtheater lieben, als auch für solche, die intellektuell ein wenig Futter haben wollen. Hier vielleicht etwas mehr für die erste Kategorie.

Les Troyens – intensive Bilder, viel Blut, mittelmäßig Besetzt vor allem in den Männerstimmen, tolle Dido, noch besserer Chor, wunderbare Musik Berlioz‘. Die Oper wurde von 5 ½ Stunden nach Berlioz‘ Original natürlich gekürzt. Es treten wuchtige Chöre mit großem Orchester unterlegt mit vielen Sänger_innen auf, eine richtige Grand Opera. Der erste Teil ist sehr kurzatmig und zu Tränen rührend. Cassandra schafft es, auch zusammen mit dem Chor, einen mit ihrer etwas schwerfälligen Stimme emotional zu erreichen. Dido allerdings, die wunderbar singt, kann mit ihrem Partner keine Liebe aufkommen lassen. Die Szenen sind völlig unglaubwürdig. Deshalb ist der Anfang des zweiten Teils etwas langwierig und wenig bewegend. Die Wut und den Hass dagegen spielt sie herrlich. Leider haben die Flöten und Klarinetten schlecht intoniert. Schade, da sie in diesem Stück oft solistisch über das Orchester rüberspielen. 

P.S.: In den Angaben habe ich eine rassistische Bezeichnung gestichen, will sie hiermit aber nicht leugnen.

Lulu – Barbara Hannigan
Gräfin Geschwitz – Anne Sofie von Otter
Eine Theatergarderobiere/Gymnasiast – Marta Świderska
Der Medizinalrat Dr Goll/Polizist/Professor – Martin Pawlowsky
Der Maler – Peter Lodahl
Dr Schön/Jack – Jochen Schmeckenbecher
Alwa – Matthias Klink
Ein Tierbändiger/Ein Athlet – Ivan Ludlow
Schigolch – Sergei Leiferkus
Der Prinz/Kammerdiener/Marquis – Dietmar Kerschbaum
Theaterdirektor – Denis Velev


Philharmonisches Staatsorchester Hamburg / Kent Nagano.
Regie – Christoph Marthaler




Donnerstag, 2. Februar 2017

Elbphilharmonie Teil II – Haydn und Bartók

Ähnlicher Platz, andere Musik. Mit dem NDR Elbphilharmonieorchester habe ich das erste Orchesterkonzert in diesem Saal erlebt und muss sagen: Die Akustik hat wirklich zwei Seiten. Ich kann den vielen Journalisten nur zustimmen, dass jedes einzelne Instrument sehr klar rausgehört werden kann. Bei Haydn kann man die Cellostimme immer verfolgen. Sie wird von Nicolas Altstaedt sehr leidenschaftlich und dramatisch mit viel Fingerfertigkeit gespielt, immer etwas vor der Zeit. Und selbst die Harfe hört man bei Bartók als Einzelstimme gut raus. Das Publikum war unglaublich leise, besonders bemerkenswert, weil es sehr jung und leger war. Ich habe bei beiden Konzerten einige Menschen getroffen, die ich sonst noch nie in Konzertsälen gesehen habe. Hamburg hört bzw. guckt sich die Elbphilharmonie wirklich an. 
Das Orchester scheint an diesem Raum noch mal enorm zu wachsen. Da jede_r Einzelne zu hören ist, müssen alle ihr Bestes geben. Das tun sie auch. Beide Stücke waren wunderbar gespielt, der Haydn besonders im letzten Satz so schnell und trotzdem präzise-spritzig und die Musiker stellten beim Bartók ihre Einzelleistungen noch über die Akustik hinaus unter Beweis. Vom akkuraten und atemberaubend mit Spannung gespielten Schlagwerk bis hin zur nicht nur musikalisch sehr bewegten ersten Flöte.
Hengelbrock sagte für das Publikum sogar das zweite Stück und die Zugabe an, erzählte von Bartóks Reisen nach Nordafrika und den Einflüssen auf das Konzert für Orchester. Es sei nicht nur schön, dies aufzuführen, sondern notwendig. Diese Musik liegt ihm und dem NDR Elbphilharmonieorchester sehr.
Leider macht die Akustik Abstriche bei der sonst so geliebten Farbigkeit der Musik Bartóks. Das meiste klingt recht dumpf und kalt. Kein Schimmern, kein Glanz oder körperliches Spüren. Sehr distanziert. Die Musiker mühen sich ab, aber es klingt wie Partiturlesen. Die Lohnegrin-Zugabe zeigt allerdings noch einmal besonders, wie ein volles Orchester hier klingen kann. Das Blech profitiert von der Akustik und klingt warm und satt, nicht blechern. Solche Stücke passen in den großen Saal.
Nächstes Mal sitze ich hinter dem Orchester. Gern probiere ich mal ganz Oben aus, da sollte der Klang dann besser zusammenkommen. Wirklich laut im Sinne eines Fortes wird es jedenfalls nicht, wo ich saß. Der Haydn ist eigentlich schon zu dünn besetzt für die Saalgröße. Ich bin gespannt auf die Klangmöglichkeiten des kleinen Saals, die ich nächsten Monat mit Matthias Pintscher und den Lucerne Festival Alumni erleben darf.



NDR Elbphilharmonie Orchester
Nicolas Altstaedt Violoncello
Dirigent Thomas Hengelbrock
Joseph Haydn
Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob. VIIb/1
Béla Bartók
Konzert für Orchester Sz 116
Richard Wagner
Lohengrin – Vorspiel zum 3. Akt

P.S.: Ich war mit einer älteren Dame dort und habe dadurch noch deutlicher festgestellt: für ältere Menschen, die noch laufen können, ist das Rauf und Runter eine Tortur. Die ewig langen Stolpertreppen kommen nicht in Frage. Es gibt keinen Fahrstuhl, der von oben ins Parkhaus fährt oder andersrum, man muss einmal komplett über die Plaza laufen, um den Fahrstuhl zu wechseln. Außerdem steht man sehr lange vor den Fahrstühlen an. Entweder ist man also fit oder im Rollstuhl und geduldig.