Mittwoch, 25. Januar 2017

Yo-Yo Ma – Kammermusik in der Elbphilharmonie

Was für ein Künstler. Über Yo-Yo Ma ist eigentlich alles schon geschrieben worden. Ich kann nur dazutun, dass er live genau das hält, was man sich erhofft: Einen wirklich unfassbar gut intonierenden Cellisten, mit Leidenschaft und Liebe für die Musik und zwar Musik vieler verschiedener Arten. Seine Partnerin am Klavier, Kathryn Stott, kann ihm das Wasser reichen und sie spielen gemeinsam, wie ich es selten bei einem Duo gesehen habe: Seite an Seite, manchmal sogar im wahrsten Sinne des Wortes, sich berührend. Yo-Yo Ma achtet sehr genau auf alle ihre Bewegungen am Klavier. Gemeinsam spielen sie Stücke ihres Lebens, frühe Erinnerungen wie spätere Entdeckungen. Von Ave Maria (Charles Gounod) bis zu einer Cellobearbeitung der Violinsonate von César Franck. Besonders diese ist sehr leidenschaftlich gespielt. Kathryn Stott lässt den Flügel in der Elbphilharmonie so klingen wie eine Harfe, ihre Arpeggien fließen und klingen mühelos, kein Anschlag zu hören. 

Nun zur Dramatik des Ganzen. Der Saal, bzw. die Akustik des Saals ist völlig ungeeignet für Kammermusik, wie der Marcus Stäbler zu seinem Hörerlebnis kam, weiß ich nicht, dann hätte ich gern seinen Platz! Ich hatte eigentlich einen sehr guten (F/Reihe3/Platz5) - nicht zu dicht, nicht zu weit. Der Klang von zwei Instrumenten verfliegt offenbar doch etwas, denn selbst als es bei den vier (!!!) gespielten Zugaben endlich spannungsbedingt ruhiger wird im Publikum, hört man nur mit selbstgemachter Ohrmuschelerweiterung durch die eigene Hand besonders gut. Ohne diese ist der Klang recht leise gedämpft und distanziert kühl. Leider wird die schlechte Akustik für wirklich leise Musik nur noch unterstützt bzw. wahrscheinlich vor allem dadurch hervorgerufen, dass jedes Publikumsgeräusch laut ist. Die Huster bin ich aus der Oper gewohnt, das lenkt mal ab und ärgert, ändert aber an der Akustik nichts. Das Dauerrascheln, als gäbe es eine Empfangsstörung bei der Radioübertragung, ist das, was die Freude an der Musik mindert. Es reicht seinen Arm zu bewegen, seine Füße mit quietschenden Lederschuhen neu zu positionieren (sagte eine, die ganz oben saß später zu mir).  

Es entsteht ein Dauergeräusch im Hintergrund, dadurch, dass ca. 2000 Menschen im Saal sind. Es scheint auch gar nicht hauptsächlich um die Musik zu gehen, schließlich ist der Raum sehr hell erleuchtet während des Konzerts. Kaum abgedunkelt steht der Saal im Vordergrund und nicht die Musiker und ihre wirklich traumhaft schöne Musik. Yo-Yo Ma genießt sie trotzdem und vielleicht kommt bei ihm vor allem das Husten und leise Reden an, denn er nimmt es mit Humor. Vor der Zugabe macht er mit seiner rechten Hand die „Schnatter-Schnatter“-Geste, weil er eigentlich anfangen wollte zu spielen, aber immer noch gehustet wird etc. Der Saal bricht in Gelächter aus. Für mich ist das Lachen die Befreiung der Aufregung über dieses wirklich stark gestörte Hören. 
Ganz zum Schluss, als die beiden „The Swan“ von Camille Saint-Saens spielen, wird alles noch mal ganz ruhig. Ich kann erahnen wie schön es doch noch klingen könnte ohne Publikum. Aber eigentlich sollte das Haus doch für Menschen gebaut sein? Diese Frage stellt sich auch bei ganz praktischen Dingen: Zu wenige Frauentoiletten, schlechte Organisation der kostenpflichtigen Garderoben, Stolperfallen besonders für Ältere auf den endlosen Treppen, Stau beim Verlassen des Gebäudes, der unästhetische Gong klingt wie der einer Schule, trotz ausverkauftem Konzert sind zu viele Plätze dann doch frei geblieben. Dagegen sind immerhin die Programme kostenlos gewesen und das Publikum überraschend jung. Die vielen Touristen schaffen es eine Atmosphäre herzustellen, wie ich sie neulich in der Deutschen Oper Berlin erlebte. Internationale Begegnung mit einem Grund: Musik!
Blick von meinem Platz


Ich bin gespannt auf nächsten Mittwoch. Dort werde ich dann für das NDR Elbphilharmonieorchester wiederkommen. Ich denke, da es auch gestern an den lauteren Stellen sehr schön war und der Saal den Klang hier durchaus wunderbar transportiert, wird das Orchester sicher über das Dauergeräusch hinübermusizieren können.






Programm: »Arc of Life«
Johann Sebastian Bach / Charles Gounod
Meditation / Ave Maria BWV 846 / Bearbeitung für Violoncello und Klavier
Jean Sibelius
Var det en dröm? / War es ein Traum? op. 37/4 / Bearbeitung für Violoncello und Klavier
Jakob Gade
Tango Jalousie
Claude Debussy
Beau soir / Bearbeitung für Violoncello und Klavier
Franz Schubert
Ellens Gesang III D 839 »Ave Maria« / Bearbeitung für Violoncello und Klavier
Dmitri Schostakowitsch
Sonate d-Moll op. 40 für Violoncello und Klavier
Giovanni Sollima
Il bell'Antonio (Tema III)
César Franck
Sonate A-Dur M 8 / Fassung für Violoncello und Klavier

Montag, 9. Januar 2017

Es ist eine Frage des Geldes

Was für ein langweiliger Abend, dachte ich besonders nach der ersten Hälfte der Generalprobe von Otello an der Staatsoper. Konzertanter Opernabend mit einem Riesenkran auf der Bühne, na super. Immerhin agierten die Darsteller_innen in den letzten beiden Akten mehr, vieles war trotzdem unbewegt. Ich ging nach Hause und ärgerte mich über meine Premierenkarte. Gestern war es dann so weit. Ich saß tatsächlich in der dritten Reihe, hervorragender Blick, mächtiger Klang. Ich gab der Inszenierung eine zweite Chance. Bereits der Anfang hat mich mehr gepackt. Leiden sieht man wohl nur aus der Nähe gut. Von dem Balkon der Loge sah es aus wie eine Fernsehübertragung. Packend auch der wirklich körperlich spürbare, schlagartige Beginn des Orchesters, der Chor von Geflüchteten in alten Kleidern singt nein fleht einen an. Das HELP ME auf der Hand einer Sängerin ist von hier aus zu erkennen. Die Figuren des Stücks sind in Anzügen und Abendkleidern dagegen abgegrenzt und die Männer in Anzügen stehen plakativ vor der Stacheldrahtabgrenzung. Als der Stacheldrahtzaun beseitigt wird, bleiben die Verhältnisse so. Bei der Feier bekommen sie nur die Almosen der Anzugträger und werden mit Champagner bespritzt, den sie sich gierig vom Gesicht lecken. Gelungener Anfang, interessante Idee. Wenig Provokativ, wenn man all die Theaterstücke, die so inszeniert wurden, schon gesehen hat (z.B. Die Schutzbefohlenen am Thalia Theater), aber trotzdem ergreifend, wenn man sich darauf einlässt, schließlich sind die realen Probleme seitdem nicht verschwunden.
30 oder 100 Euro?* Was ist es einem Wert, was kann man bezahlen? Wer sitzt unten, wer sitzt hinten? Die Inszenierung hat Calixto Bieito m.E. klar von vorne erdacht. Genauso wie in der Inszenierung gibt es die auf den billigen Plätzen und die im Abendkleid und Anzug mit Champagner in der Pause. Auf den schlechteren Plätzen hört man ganz gut, aber man sieht nicht die intensive Mimik mehrere Darsteller_innen gleichzeitig, man fühl die Musik Verdis nicht überwältigend körperlich, die enorme Kraft eines geschlossen rufenden Chores zu einem selbst, dem Zuschauenden. Was man dagegen hört ist das hier noch lautere, etwas geschrieene Singen des eingesprungenen Tenors (Marco Berti), das lästige minutenlange Quietschen der Schuhe, als die Menschenmenge auf dem gummiartigen Boden zum Bühnenende zurückschlurfte. Das war für mich bei der Premiere in der dritten Reihe nur leicht wahrzunehmen, oben war es grausam penetrant.
Musikalisch war der Otello wunderbar, auch schon am Donnerstag! Besonders die heimliche Hauptrolle Jago, gesungen von Claudio Sgura, überzeugte durch traumhaften Gesang und ein Schauspiel besonders in der Mimik, das passender für einen grausam-intriganten Menschen gar nicht hätte sein können. Sehr emotional war auch sein Partner Otello, er spielte gut, sängerisch ist das metallische, oft so laute und verstärkte Singen, das manchmal in den Ohren wehtat, nicht meins. Svetlana Aksenova als Desdemona ist eine Traumbesetzung. Die allerhöchsten Töne wollen nicht ganz offen bleiben, aber alles andere ist wie für sie geschrieben. Sie bringt einen mit dem „Lied der Weide“ fast zum Weinen, obwohl sie sich währenddessen nur mit ihren Händen festhaltend vor der Balustrade des Krans in ein paar Metern Höhe balanciert. Das Orchester unterstützt alle Gefühlsregungen des Stücks. Die Wut und Hilflosigkeit, tragische Liebe und Trauer, Gewalt, Schicksalsergebenheit und sogar Mord und Tod. Wunderschöne Klänge entstehen, besonders in den großen und in den ganz kleinen kammermusikalischen Momenten der Streicher und Holzbläser.

* Bei der Premiere waren die Karten deutlich teurer (1. Kategorie ca. 180€), dies ist der Preis ab der zweiten Aufführung.

→ Nichts für kleine Kinder! Ein Mann wird erhängt (spielt sehr realistisch) und hängt 20min am Krahn, eine Vergewaltigung von Desdemona wird angedeutet.
 
Audioversion des Textes hier:
Es ist eine Frage des Geldes - Otello

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Otello (Verdi)
Staatsoper Hamburg
Regie: Calixto Bieito
Bühnenbild: Susanne Gschwender
Kostüme: Ingo Krügler
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Ute Vollmar